Back to the Roots
Buntstift auf Papier / colored pencil drawing on paper, 90x70cm, 2021
Für viele Menschen ist ein regelmäßiges Naturerlebnis so wichtig, wie das tägliche Brot. Dies scheint auch in besonderem Maße dort zu gelten, wo besonders viele Leute sich einen Lebensraum teilen. Gerade in Ballungsräumen stellt es einen sensiblen Punkt dar, wie die Naherholungsgebiete erschlossen und dabei auch geschützt werden.
Zentrales Augenmerk wirft die Arbeit von Marianne Lang auf den Erholungswald, der üblicherweise gekennzeichnet ist von geschlossenen Waldstücken insbesondere mit altem Baumbestand, der aber auch ein dichtes meist gekennzeichnetes Wegenetz für Wanderer, Jogger und Radfahrer aufweist. Häufig sind hier auch Reitwege und liebevoll gestaltete Waldlehrpfade zu finden. Naturschutz und eine hohe Besucherfrequenz müssen einander nicht zwangsläufig widersprechen. Im Gegenteil – weckt doch so ein Wald die urmenschlichsten Instinkte.
Genau hier hakt die Serie „Back to the Roots“ ein. Die Künstlerin greift ein allzu vertrautes Resultat kindlicher Naturerforschung auf, um es als Motiv ihrer Bilder zu zweckentfremden: mehr oder weniger große Hütten und Behausungen improvisiert und spielerisch zusammengestellt aus Ästen und Laub findet man mancherorts verlassen am Wegesrand, gelegentlich aber auch mitten im Wald. Es sind Zeugnisse von Kindergruppen oder Familien die sich phantasievoll ausgetobt haben. Marianne Lang meint aber noch etwas mehr aus diesen Relikten herauszulesen als bloßen Zeitvertreib.
Dass sich die nächste Straße, die nächste Siedlung oder Häuserzeile zwar außer Sichtweise, sehr wohl aber in unmittelbarer Nähe befindet, dieses Wissen lässt sich nämlich ziemlich leicht verdrängen, sobald man mit der Stofflichkeit des Waldes buchstäblich in Berührung kommt, und diese beginnt eigenhändig zu manipulieren. Dies gilt für Kinder genauso wie für Erwachsene.
In dem Moment, wo man in die elementare Welt des Waldes eintaucht und in ihr versunken einsieht, dass man beim besten Willen niemals Herr der Natur sein kann, in diesem Moment drängt ein neues Gefühl an die Oberfläche. Weniger ein Gefühl des Trotzes, vielmehr eines der Neugierde. Eine Frage wird aufgeworfen, nach der eigenen Identität, der eigenen Rolle, die erst gefunden und definiert werden möchte. Wenn ich schon nicht die Natur beherrschen kann, wo befindet sich dann meine Position? Wie kann ich mich abgrenzen, wie erlange ich Berechtigung, wie kann ich mich schützen, wie definiere ich mein Zuhause?
Eine Fülle an Gefühls- und Gedankenketten schlummern in all diesen rudimentär konstruierten Astbehausungen, die zugegeben keinerlei Schutz vor Wind und Wetter bieten, aber immerhin ein Innen und Außen vorweisen haben und damit die Grundfundamente eines Unterschlupfs erfüllen.
Es geht also nicht um gebauten Pragmatismus, vermutlich geht es nicht einmal um Architektur im weitersten Sinne. Es geht um etwas, das schwer fassbar und irgendwie auch unsichtbar ist - und bleibt. Es handelt sich weniger um eine Leere als vielmehr um eine Unbekannte, die letztlich nur der Betrachter für sich selbst zu erforschen im Stande ist. In genau diesem Sinne lässt die Künstlerin in ihrer Zeichnung präzise dort eine nackte weiße Stelle stehen, wo sich auf dem Bild eigentlich die Waldbehausung Ast für Ast manifestierten müsste. Das Ringsum bleibt gestochen scharf: der Wald mit all seinen Bäumen, dem Laub, den Büschen. Den Betrachter vor diesem Hintergrund mit seinen Gedanken alleine lassend, bleibt Marianne Lang ihm vorsätzlich die Antwort schuldig, wer nun die wahre Unbekannte ist: der Mensch oder die Natur.